kritiken

Francine Stork Trembley  

Die scheinbar banale und alltägliche Welt, die FST inszeniert, ist vom familiären Bereich inspiriert. In ihrer Optik bedeutet Interieur nicht nur die Darstellung von harmonischen oder idyllischen Bildern, sondern eher eine Abgrenzung des Gefühls- und Geistesbereiches. FST benutzt Stillleben und Realismus, um eine andere Wahrnehmung der Realität zu erschaffen. Ihre realistische Darstellung ist mit Zeichen und Botschaften beladen, die dazu einladen, die gewöhnliche Vision der Welt zu korrigieren. In ihrer Bildkomposition ist eine getarnte Botschaft integriert.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Künstler sich hinter einer sehr persönlichen Symbolik verbirgt. Diese muss nicht unbedingt so verstanden werden, dass dadurch ein Kontakt oder Austausch mit dem Künstler/in stattfinden könne. Dieses Vorgehen drückt das Bedürfnis oder den Wunsch aus, von einem persönlichen Beitrag ausgehend, nach dem Absoluten zu streben.

In diesem Kontext kann diese Handlung als die Suche nach dem Erhabenen verstanden werden. Sie verweilt mit ihrem Blick auf familiären Gegenständen, bis sie eine reine Form herausgearbeitet hat, wo sich alles als logische Bauteile des Gesamtwerkes versteht. Der Formalismus dient als Abdeckung des emotionalen Prozesses. 

Als Künstlerin interessiert sich FST für die Summe der individuellen Komponenten. Die Signifikanten und Erinnerungen, die uns extrem persönlich erscheinen, sind zunächst vernichtet, das Experiment des Privaten verschwindet in der bildnerischen Komposition. Aber diese Elemente leben weiter auf der Bildebene als ikonografische Informationen über Ursache, Relation und Konsequenzen und decken somit ein Anliegen außerhalb des Bildgeschehens auf. Dort finden ununterbrochen Variationen auf dem Thema „Idyll und Katastrophe“ statt.

Bruxelles 1999

Catherine Cosemans

Art Communication, Bruxelles

Aussschnitt

FST, die in der Tradition des französischen Impressionismus steht, ist eine Meisterin des unterschwelligen Subtextes der Materie, ebenfalls Meisterin ist sie der unmerklichen Grenzverschiebung. Mit narkotisierenden Pinselstrichen nähert sie sich dem Wesen Ihren „Gegenständen“ an, als da sind Köpfe, Hühner, Menschen. Im Wesen dieser „Dingen“ scheint sich die Abwesenheit jedweder proklamierten Einzigartigkeit zu erweisen. Das Gehabe der Existenz ist heruntergefahren, die einzelnen Elemente erstarren in einer seriellen Figuration, Sekunden nach der Bewegung.

Jedoch die „Dinge“ in den Stillstand zu führen, heißt auch, ihre künftige Bewegung zu antizipieren. Gehen erweist sich als fortgesetzt kontrollierter Sturz. Trachtengruppen fallen von den Bildseiten, den Rändern der Welt ein, kleben quasi an der Steilwand einer sich rasend drehenden Welt. Tolle Stimmung!

Unterstützt wird das Gefahrenpotenzial der Bilder manchmal auch durch eine Art umgekehrte Perspektive, die den Raum nicht in den Hintergrund verjüngt, sondern verbreitert, in jedem Fall mit mehreren Trajektorien arbeitet. Ein scheinbar naiver Gestus, der den Betrachter aus der Sicherheit des zentralperspektivischen Aussichtsturms in die ortlosen Gefilde des Unbewussten führt. FST malt den Vorgeschmack der Explosion – Mandelsplitter. Eine seltsame, stille Panik.

Michael Wüst

Kulturvollzug, November 2011

Ausschnitt

Francine Stork Trembley teilt sich mit zwei anderen Künstlern ein Atelier im sogenannten Werk 9 in der Kultfabrik.

Sie öffnet mir die Tür: „Dieses bemalte Kostüm habe ich extra für Sie angezogen“. Natürlich, sonst trägt sie das nicht „schon gar nicht, wenn ich U-Bahnfahren muss“. Versteht sich!  U-Bahnen definieren das Streckennetz der modernen Unterwelt. Die U-Bahn transportiert, eingebettet ins Netz der Kanalisation den Fluss der Gesichter durch die Schächte der Moderne. Einmal musste ich daran denken, wie ich am Aschermittwoch um drei Uhr früh in den Zug des zu Grabe fahrenden U-Faschingszug gestiegen bin. Es war selten still, was ich da sah, hätte auch ein Bild von FST gewesen sein können.

Diese Scheinwelt ist ein Leitmotiv des Impressionismus, da möchte man als Erstes sagen: so ähnlich ist es auch und doch ganz anders. Die Welt hinter ihrer Erscheinung, sie soll zum Durchscheinen gebracht werden, zum Erscheinen. Das ist die seltene Begabung von FST. In einem Bild von ihr schwimmen Gesichter neben Blüten in einer Draufsicht. Statt Seerosen durchqueren weiße Hühner in seitlicher Ansicht. Die zwei ineinander gestellten, gekeilten Ansichten verleihen dem Bild eine spannungsvoll geladene Ruhe. Die einzelnen Elemente sind seriell eingesetzt, das wirkt musikalisch. Musikalisch, Karussell, Loop: ein perseverierendes Philipp Glas-Motiv. Eine gefährliche Satie Süßigkeit, ein elektrisches Bonbon.

Die grobe sandige Grundierung verleiht den flirrenden Schimmer des Aquatischen, vermittelt ein Gefühl der Durchsicht, verlockt zum Schauen ins Unbewusste. Das alles passiert in ihren Bildern mit einem scheinbar naiven Gestus.

Gleichförmig, seriell, uni, fallen von den Seiten der Bilder, den Rändern der Welt, Blaskapellen und Trachtenformationen ein. Die Bewegung findet nicht, wie bei Degas, aus dem Bild hinaus statt, sondern hinein.

Das klassisch perspektivische Prinzip der Verjüngung in den Bildhintergrund, die Flucht, ist umgedreht, die Perspektive expandiert in der Ferne maßlos in die Breite, der Fluchtpunkt selbst bohrt sich ins Herz der Betrachter. Die Flucht der Verbreiterung in den virtuellen Bildhintergrund scheint den Weg, auf dem die Trachtlerin ins Bild marschieren, fast in die Senkrechte zu kippen. Die Hüte, wie schräge Deckel aufgelegt, verdecken die Augen, blicklos rutscht die ganze schöne Heimpartie durch das Bild in den Abgrund. Momentaufnahme einer seelischen Katastrophe. Psychologische Malerei, die nicht surrealistisch ist, sondern vorrealistisch. Es sind die psychischen Größenordnungen, denen sich die Vermessungen des Bruneleschi erneut beugen. Ein Schalk, wer das naiv nennen möchte.